Der Bundesgerichtshof hat in fünf Entscheidungen vom 16.01.2024 die Rechte von Unfallgeschädigten erneut gestärkt und dem Bemühen der Haftpflichtversicherungen, den Schaden auf Kosten der Geschädigten kleinzurechnen, eine Absage erteilt.
Der BGH hat erneut klargestellt, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls berechtigt ist, sein beschädigtes Fahrzeug zur Reparatur in eine Werkstatt zu geben und vom Unfallverursacher den hierfür erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Insbesondere hat der BGH erneut bekräftigt, dass das sogenannte Werkstattrisiko, das darin besteht, dass eine Werkstatt bei einer Reparatur eine überhöhte Rechnung stellt, der Schädiger trägt.
Darum geht es
Werkstattrisiko liegt beim Schädiger
Schon nach bisheriger Rechtsprechung liegt das Werkstattrisiko grundsätzlich beim Schädiger. Unter dem Werkstattrisiko versteht man das Risiko, das darin besteht, dass die beauftragte Werkstatt eine überhöhte Rechnung stellt. Schon bislang hat der BGH in diesen Fällen eine umfassende Haftung des Schädigers bejaht. Dies gilt sogar dann, wenn eine Fachwerkstatt bei der Reparatur unsachgemäß oder unwirtschaftlich arbeitet und die Reparaturkosten insoweit nicht mehr im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlich“ sind. Der BGH stellt nun erneut klar: Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-) Verschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger deshalb auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind. Im Klartext: Der Schädiger hat auch dann in vollem Umfang die Kosten des Geschädigten zu tragen, wenn die Werktstatt überteuert abrechnet.
Der Senat hat nunmehr klargestellt (VI ZR 253/22), dass das Werkstattrisiko nicht nur für solche Rechnungspositionen greift, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Ansätze von Material oder Arbeitszeit überhöht sind. Der BGH erweitert nun seine Rechtsprechung dahin, dass ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger vielmehr auch diejenigen Rechnungspositionen sind, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen. Denn auch insofern findet die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre statt. Diese Kosten sind daher vom Schädiger zu tragen. Daraus ergibt sich, dass der Geschädigte nicht beweisbelastet dafür ist, dass diese Kosten tatsächlich angefallen sind – dieses Risiko verbleibt beim Schädiger, der sich in Konsequenz dieser Rechtsprechung seiner Ersatzpflicht auch nicht entziehen kann, indem er Beweis dafür anbietet, dass die Kosten nicht angefallen seien.
Sachverständigenkosten sind voll ersatzfähig
Der Senat hat ferner entschieden (VI ZR 51/23), dass der Geschädigte bei Beauftragung einer Fachwerkstatt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass diese keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt. Er ist daher nicht gehalten, vor der Beauftragung der Fachwerkstatt zunächst ein Sachverständigengutachten einzuholen und den Reparaturauftrag auf dieser Grundlage zu erteilen. Aber auch wenn der Geschädigte ein Sachverständigengutachten einholt und die Auswahl des Sachverständigen der Werkstatt überlässt („Schadensservice aus einer Hand“), führt allein dies nicht zur Annahme eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens und der Geschädigte behält seinen Schadensersatzanspruch.
Werkstattrisiko bei nicht (vollständig) bezahlter Werkstattrechnung
Der BGH stellt allerdings weiter klar, dass die Ausführungen zum Werkstattrisiko nur dann gelten, wenn der Geschädigte die Rechnung der Fachwerkstatt vollständig beglichen hat. Ist dies nicht der Fall bliebe dem Geschädigten sonst immer noch die Möglichkeit, eigene Ansprüche gegen die Fachwerkstatt wegen der überhöhten Rechnung geltend zu machen und diese zu mindern. Könnte er in diesem Fall dennoch den Ersatz der vollständigen Rechnung vom Schädiger verlangen, wäre er insofern unbillig bereichert. Der Senat macht daher deutlich, dass in diesen Fällen (also bei (noch) nicht vollständig bezahlter Werkstattrechnung) der Schädiger nur die Zahlung der Kosten an die Werkstatt, nicht aber an sich selbst verlangen kann. Wählt er stattdessen die Zahlung an sich selbst, so trägt in diesem Fall der Geschädigte das Werkstattrisiko. Er hat dann im Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Reparaturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt nicht erforderlich sind.
Fazit
Es ist erfreulich, dass der BGH in dieser Klarheit die Rechte der Geschädigten stärkt und das Werkstattrisiko klar dem Schädiger zuordnet. Es ist aber ebenso deutlich, dass der Geschädigte, der sich alleine auf seine Fachwerkstatt verlässt, bei noch nicht bezahlter Rechnung der Fachwerkstatt das Risiko trägt, dass die Fachwerkstatt überhöht abrechnet.
Verlassen Sie sich also weder auf den Gutachter der gegnerischen Versicherung noch auf den Gutachter der Fachwerkstatt. Ziehen Sie in diesen Fällen als Geschädigter immer einen freien und unabhängigen Sachverständigen und Gutacher vor. Rufen Sie uns an, wir beraten Sie kostenlos, schnell und kompetent. Unsere Ersteinschätzung ist für Sie kostenlos.